Ein Post sollte leicht und heiter daherkommen. Und ein Thema für die Leser:innen auf berührende Weise abhandeln. Ich weiß nicht ob mir das heute gelingen wird. Es herrschen hier knapp 35 Grad und eine Mückenplage. Außerdem sitzt mir Herr S. im Nacken, der in seiner Mail um „mehr stotterbezogenen Input!“ bat (mit Ausrufungszeichen). Vorsichtshalber werde ich mich daher im Folgenden nicht auf Märchen, Kosenamen oder Spechte beziehen, sondern auf einen mir rudimentär vertrauten Inhalt, auf das Stottern. „Der hat ja einen Stich“, wirst du denken, „der hat doch all sein Wissen übers Stottern schon längst in die Welt verstreut.“ Nein, antworte ich da, ich habe keinen Stich. Ich habe viele Stiche. Und es juckt mir in den Fingern, mit Sachlichkeit fortzufahren. Das muss als Ferienschreibe genügen. Herr S., der von Selbsthilfe und Therapie noch völlig unbeleckt zu sein scheint, wird sich freuen. Und du, und ihr, die ihr schon alte Hasen in Sachen Stottern seid, könnt euch die Ausführungen unters Kopfkissen legen (vorher nicht lesen!), sie dringen dann wie von selbst ins Unterbewusstsein. Ich tue jetzt also so, als ob keiner nichts vom Stottern Ahnung hat. Du kannst die folgenden Punkte also jeder Person in die Hand drücken, die kurz davorsteht, ernsthaft am eigenen Stottern zu arbeiten.
1.) Wenn du als erwachsene Person stotterst, glaubst du Bescheid zu wissen, was Stottern ist. Du kennst allerdings nur eine Art des Stotterns, nämlich deine Art zu stottern. Es gibt viele, viele unterschiedliche Stotterweisen. Stottern als sprechmotorisches Verhalten zeigt sich mal hart, mal weich, mal schnell, mal kaschiert, mal versteckt in tonloser Form. Aber es ist in seinem Erscheinungsbild immer abhängig von deiner ganz persönlichen Art, mit den Symptomereignissen, die du erwartest, die gerade stattfinden oder die gerade abgelaufen sind, umzugehen.
2.) Stottern verändert sich im Laufe des Lebens. Jedes Stottern hat einen anderen, einen sehr persönlichen Verlauf. Es wandelt oder verfestigt sich in Abhängigkeit von den individuellen Erfahrungen mit dem Sprechen, mit der Anerkennung oder der Missachtung in den durchlebten Kommunikationssituationen. Deine Kommunikationspartner:innen hören und sehen nicht nur dein Stottern, sie erleben auch, wie du interagierst und Kommunikation auf deine sehr persönliche Weise gestaltest oder nicht gestaltest.
3.) Stottern ist ein komplexes Handlungsmuster, das von der eigene Gefühlswelt mitbestimmt wird, von deinen Einstellungen, die du erworben hast und von deinen Überzeugungen, zu denen du gelangt bist. Gefühle, Einstellungen, Überzeugungen bestimmen dein konkretes Kommunikationsverhalten in deiner alltäglichen Umwelt. Kommunikationsverhalten ist zu großen Teilen erlernt. Es lässt sich verändern, erweitern. Die Art, wie Kommunikation möglich wird und Bedeutung erhält, bestimmt das Lebensgefühl und die Zufriedenheit von uns Menschen.
4.) Stottern ist eine automatisierte Gewohnheit, die nur dann zu steuern ist (zu stoppen ist, im Erscheinungsbild zu verändern und auszuschalten ist), wenn du eine differenzierte Kenntnis erlangst über das, was du beim Stottern körperlich tust, was du fühlst und was du denkst. Erst wenn du eine differenzierte Sensibilität für die körperlichen, emotionalen und kognitiven Anteile deines Stotterns erlangt hast, wenn du nicht nur „weißt“, sondern auch „spürst“ (Selbstwahrnehmung), kommst du in die Lage, Selbstveränderungsschritte (Selbststeuerung) erfolgreich und nachhaltig durchführen zu können.
Normalerweise heißt es: Alle guten Dinge sind drei. Trotz der hier herrschenden Temperaturen konnte ich den vierten Punkt nicht unter den Tisch fallen lassen. Du als stotternde oder therapeutisch arbeitende Person solltest gerade diesen vierten Punkt gut sichtbar auf deinen heimischen Tisch legen, um wirksame Menüs für deine Selbsthilfe- und Therapie-Aktivitäten zuzubereiten. Aber pass auf, halt die Flamme klein: „Schnell-schnell-Verfahren“ taugen nichts! Und vergiss nicht: Halt die Flamme am Kochen (der vierte Punkt hört nie auf)! So, Herr S., alles klar? Na, denn man tau!
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