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Spuren im Sand verwehen




Ostküste Australien, endlos lange Strände, weißer Sand, weich und heiß, Spuren am Ufer, Wellen, die sanft auslaufen, Seeadler in den Eukalyptusbäumen. Lange Spaziergänge, barfuß. Elastisch der Schritt. Wenn ich den Weg zurücklaufe, sind meine Spuren von vorhin längst verweht.


Ich denke an das Stottern, an die langen Wege, die zurückgelegt werden, in der Selbsthilfe und der Therapie. Wo man fliegen lernt, wo das Sprechen in den Fluss kommt, wo sich Wellen

von Erfolg in den Alltag erstrecken, wo neue Spuren im eigenen Lebensweg sichtbar werden, spürbar die Fußsohlen, spürbar die Lockerheit von Lippen und Zunge. Elastisch und weich der Bauch. Und dann das Innehalten, Klippen, die den Weg versperren, Felsen, die zu hoch sind, um sie zu übersteigen. Oder Stürme, die das Fortkommen stoppen. Warten und Ausharren. Hoffen auf gute Zeiten. Doch die Sonne bleibt verhangen. Das Stottern meldet sich. Wird fest und hart und will nicht enden. Umkehr! Doch die Spuren im Sand sind verweht, die Orientierung ist verblasst.


Die hohen Töne auf meinem Saxophon geraten schief, wenn ich drei Wochen in Ferien war, die Kraft in meiner Mundmuskulatur, muss ich erst wieder antrainieren. Aufbauen. Den Weg noch einmal gehen, der den Fluss meiner Töne beflügelt. Wie beim Stottern, bei dem es gilt, die Fähigkeiten zur exakten Wahrnehmung des Sprechablaufs nicht zu verlieren. Und auch die Sensibilität zur Aufrechterhaltung der Sprechsteuerung will wachgehalten werden. Gelernte Modifikationstechniken wollen gepflegt werden.


Manche sagen „Auffrischung“, manche „Prävention“. Manche stöhnen über das „Üben“. Wie dem auch sei: Wenn du Bewältigungstechniken erworben hast, die angstfreies Reden auch in schwierigen Kommunikationssituationen erlauben, dann ist eine regelmäßige Nachbesserung angebracht. Du wirst vielleicht widersprechen und sagen, Modifikationstechniken können sich auch automatisieren. Das ist wahr. Aber einmal flüssig gesprochen – auch wenn das für längere Zeit andauert – bedeutet nicht automatisch, dass zukünftig auch unter erschwerten Lebensbedingungen und in stressigen Alltagssituationen die Selbstwahrnehmung und Selbststeuerung stabil funktionieren werden. Statt sich mit Misserfolgen und Rückfällen herumschlagen zu müssen, ist eine Auffrischung ratsam (siehe die Schlagworte „Rückfall“ und „Gewohnheit“ in meinem Buch „Mein Stotter-ABC)“.


Natürlich gibt es Stotter-Profis, denen machen Symptome nichts mehr aus. Sie vermeiden keine Sprechsituationen mehr, sie stören sich auch nicht mehr an eigenen Blockaden. Sie kommen mit den Schwankungen ihrer Symptomatik gut zurecht und riskieren gelassen Phasen verstärkter Unflüssigkeit. Wer sich eine große Akzeptanz des eigenen Stotterns erarbeitet hat, muss in der Tat keine Auffrischungskurse belegen. Der macht lange Spaziergänge im weichen Sand und schert sich nicht um den Wind. Gehörst du zu diesem Personenkreis?

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