
Natürlich stotterst du nur beim Reden, ich weiß, nicht nachts, während du im Schlaf sprichst, nicht bei Wörtern, die du singst. Auch nicht beim Tauchen oder während die Zahnärztin bohrt. Du stotterst täglich, wenn du Pech hast seit Jahren. Und seit Jahren versuchst du diese Qual abzuschütteln. Vielleicht kennst du die sog. In-vivo-Arbeit. Darum soll es hier gehen. Die meisten meinen, das wäre eine spezielle Therapiesitzung, bei der stotternde Patienten mit ihrer Logopädin in Geschäften und auf Straßen fremde Menschen ansprechen. Oder es würde sich um Übungen einer Selbsthilfegruppe handeln, die einen Polizisten umringt und mit einem absichtlichen Pseudostottern nach seinem Vornamen fragt. Nein, falsch – oder besser: das wäre sehr einseitig gesehen. In-vivo-Arbeit ist deine eigene Arbeit, die im echten Leben passiert, also in deinem eigenen Lebensumfeld, und die du selbst leistest, um dein Stottern zu bewältigen. In-vivo-Arbeit ist Eigenarbeit, ist Selbsttraining. In-vivo bedeutet so viel wie: im wirklichen Leben. Also in deinem Leben. Natürlich hast du dir für deinen Kampf gegen das Stottern Anregungen besorgt. Vielleicht von einer Stottertherapeutin, einem Logopäden, oder Tipps aus deiner Selbsthilfegruppe. Oder du hast ein paar schlaue Artikel gelesen, ein Video gesehen oder in einem Buch geschmöckert. Du brauchst Futter, du bist hungrig, du brauchst Input. Und – das Wichtigste bei dieser Angelegenheit – du selbst willst dein Stottern beim Kommunizieren in unterschiedlichen Alltagssituationen systematisch beobachten Automatismen stoppen und Gewohnheiten spielerisch verändern. Darum geht es. Du hast dich informiert, welche Techniken zur Verflüssigung des Sprechens existieren. Du hast sie für dich trainiert. Am Frühstückstisch, wenn du z.B. Zeitung liest, im Gespräch mit deiner Katze oder deinem Hund (es können auch die Eltern oder Geschwister sein). Du testest die Modifikationstechniken in einfachen Redesituationen, spürst, welche du am ehesten handhaben kannst, und erprobst sie nun beim Fragen und Bestellen an der Käsetheke. Du nimmst die abgepackten Käsestücken nicht mehr aus den Kühlregalen, du suchst dir ein Gegenüber, fragst, äußerst deinen Wunsch, steigst in die Kommunikation mit der/dem Verkäufer:in ein. Überall gibt es Redeanlässe, in Geschäften, im Büro, in der Schule, bei Sportereignissen – Redeanlässe sind ausreichend vorhanden. Vielleicht gibt es auch noch den einen oder anderen Kontakt zu einer Bekannten, einem Freund – Beziehungen wollen aufgefrischt werden. Mund und Zunge funktionieren – gib ihnen den Auftrag zum Reden! Sprechflüssigkeit lässt sich schrittweise etablieren! Bedenke dabei: Stottern darf sein, Zögern darf sein. Wer wagt, fällt auch mal hin. Rutscht mal aus. Risiko ist immer. Aber es wird eine Balance entsteht zwischen Stottern und Nichtstottern, je öfter du mit neuen Sprechweisen spielst. Schweigen bringt nichts, trainiert nichts, lockt kein Lächeln hervor, macht stumm. Es macht dich abhängig von der guten Stimmung, die wieder mal gerade nicht da ist, weil du mit dem linken Fuß aufgestanden bist. Der Haken sind die kreisenden Gedanken – das weißt du nur zu gut: Soll ich oder soll ich nicht? Wie lassen sich die jahrelangen Unsicherheiten abzustreifen? Prüfe, ob die Zeit des Wartens vorbei ist. Gib dir die Erlaubnis loszulegen. Sei egoistisch! Die Zeit ist reif zur Eigenarbeit.
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